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Nr. 11: Finanzmisere der Bergischen Städte:

12. Februar 2001

Die bündnisgrünen Fraktionen Solingen, Remscheid und Wuppertal wenden sich in einem Offenen Brief an die GRÜNE Landtags- und Bundestagsfraktion, um auf die desolate Finanzsituation der drei Kommunen aufmerksam zu machen.

Die drei Fraktionen beschreiben die finanziellen Auswirkungen der Steuerreform des Bundes sowie des Zweiten Modernisierungsgesetzes des Landes NRW auf ihre Städte und fordern dazu auf, über eine Gemeindefinanzreform zu diskutieren, die die Handlungsfähigkeit der Kommunen gewährleistet.

Peter Vorsteher, Sprecher der GRÜNEN Ratsfraktion Wuppertal:

"Der Kämmerer Dr. Slawig hat in den letzten Wochen Zahlen vorgelegt, die für Wuppertal verheerende Konsequenzen bedeuten können.

Wir wenden uns an die GRÜNEN Verantwortlichen in Bund und Land, weil Wuppertal, aber auch die anderen Kommunen aus eigener Kraft die Kosten, die von Bund und Land auf uns abgewälzt werden, nicht mehr schultern können. Wir fürchten um die grundgesetzlich verankerte Selbstverwaltung der Kommunen und erwarten von den Bundes- und LandesGRÜNEN Unterstützung, um diese aufrechterhalten zu können."

Anlage:

Offener Brief an die Fraktionen Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Bundestag und im Landtag NRW

Finanzielle Situation der Kommunen

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir alle haben zu Zeiten der Kohl-Regierung auf dem Konnexitäts-Prinzip beharrt, das da heißt: wer bestellt, soll auch die Rechnung zahlen.

Wir erinnern uns an zahlreiche Vorhaben der damaligen Regierung, bei denen die Kosten vor allem auf die Länder und die Kommunen abgewälzt wurden. GRÜNE haben sich immer für die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung der Kommunen eingesetzt; wir fragen uns nun aber, ob das nur Lippenbekenntnisse waren.

Wir sind beteiligt an der Regierung auf Bundes- und Landesebene NRW und müssen konstatieren, dass sich trotz Rot-Grün an dem Prinzip nichts geändert hat.

Durch das Steuerentlastungsgesetz des Bundes wird der Anteil der Kommunen am Einkommensteueraufkommen (das grundgesetzlich garantiert ist) erheblich verringert. Der Deutsche Städtetag rechnet mit Ausfällen allein durch die Steuerreform von 8,3 Milliarden DM. Durch die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge wird mit einem weiteren Minus von von 2,2 Milliarden DM gerechnet.

Die Städte müssen weitere Einbußen hinnehmen durch geringere Schlüsselzuweisungen und Investitionspauschalen, die aus dem Steuerverbund des Landes gespeist werden.

Durch das Zweite Modernisierungsgesetz des Landes NRW werden gerade größere Städte durch die Verlagerung verschiedener sozialer Aufgaben auf die Kommunen erheblich belastet, was durch die Senkung der Landschaftsumlage nicht einmal ansatzweise aufgefangen wird.

Die Folgen für die Kommunen sind verheerend:

In allen Städten müssen Leistungen zurückgefahren werden, gerade im Sozial- und Kulturbereich steht zu befürchten, dass die Existenz von Initiativen und Freien Trägern auf dem Spiel steht, die Angebote für BürgerInnen werden zumindest stark eingeschränkt werden müssen bis hin zu der Befürchtung, dass Kommunen aufgrund der verschlechterten finanziellen Situation noch nicht einmal ihren Pflichtaufgaben nachkommen können.

Beispiel Solingen

Die Einbringung des Haushaltes in Solingen wurde im November 2000 verschoben, da sich die Steuerprognosen drastisch verschlechterten (u.a. Wegfall der Einkommenssteuer im zweistelligen Millionenbereich)

Folge: Allen Ressorts wurden weitere umfangreiche Kürzungen für den Haushaltsentwurf abverlangt, es droht erneut " wie in der Zeit von 1996-1998 " ein nicht genehmigter Haushalt, dem wiederum hauptsächlich mit Veräußerungserlösen bzw. Verkauf des städtischen "Tafelsilbers" begegnet werden wird. In 1996 " 1998: nahezu Komplettverkauf des städtischen Wohnbesitzes; zur Zeit in Arbeit: Teilverkauf der Stadtwerke zu 49,9%, obwohl sich die Stadtwerke bislang hervorragend im liberalisierten Markt behaupten können. Angedacht sind Verkäufe des städtischen Entsorgungsbetriebes, Gerüchte gibt es zum Verkauf des Krankenhauses, welches seit Jahren schwarze Zahlen schreibt. Zudem stehen diverse Einrichtungen aus dem kulturellen, sozialen und sportpolitischen Bereich vor der Schließung (Hallenbad und Eissporthalle, Jugend- und Drogenberatung, SOS Rassismus u.a.).

Damit werden die Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung doppelt in Frage gestellt: der Rat verliert die inhaltliche Einflussnahme auf das Verwaltungshandeln und ihm werden weitere Bereiche gemeindlicher Aufgabenerledigung entzogen. Es profitiert die Privatwirtschaft und die großen Konzerne im Energieversorgungsbereich. Mit Hilfe der Bundesregierung kann so ein gigantischer Vermögensumverteilungsprozess vom kommunal kontrollierten Gemeineigentum hin zum konzernorientierten Privateigentum vollzogen werden. Hier wäre es u.E. Aufgabe von Landes- und Bundesregierung, aktiv gegen zu steuern.

Wir erbitten entsprechende Aktivitäten.

Beispiel Remscheid

Mindereinnahmen bzw. Mehrbelastungen durch das Steuerentlastungsgesetz und das 2. Modernisierungsgesetz saldieren sich allein für das Jahr 2001 auf insgesamt 17.2 Mio. DM.

Die Mindereinnahmen des Steuerentlastungsgesetzes betragen von 2001 bis 2008 rund 111 Mio. DM, die Mehrbelastungen durch das 2. Modernisierungsgesetz belaufen sich für die Jahre 2001 bis 2004 auf rund 13.5 Mio. DM.

Zur Information: Die Stadt Remscheid hat seit 1994 keinen genehmigten Haushalt. Zur Deckung der laufenden Ausgaben müssen seitdem Kassenkredite aufgenommen werden. Das heißt, die o.g. Mehrbelastungen werden ausschließlich durch zusätzliche Kassenkredite finanziert. Unter anderem dadurch steigt die Belastung der Stadt durch zusätzliche Zinsen auf Kassenkredite um weitere rund 49 Mio. DM (2001 "2008). Dies führt dazu, dass der Höchststand der aufgenommenen Kassenkredite bei 605 Mio. DM im Jahre 2010 liegen wird. Und das bei einem Volumen des Verwaltungshaushaltes in Höhe von rund 450 Mio. DM.

Zum Vergleich: Aufgenommene Kredite für langfristige Investitionen liegen heute bei rund 180 Mio. DM.

Beispiel Wuppertal

Der Kämmerer hat (vor allem aufgrund der Steuerreform) einen Einnahmeausfall für 2001 von 80 Millionen DM konstatiert, 2002 von 69 Mio. DM, 2003 von 93 Mio. DM.

Durch das Zweite Modernisierungsgesetz NRW hat Wuppertal trotz Senkung der Landschaftsumlage eine Mehrbelastung von ca. 13 Mio DM.

Die Folge ist eine jetzt verhängte Haushaltssperre, alle Geschäftsbereiche müssen Einsparvorschläge zur Konsolidierung leisten. In "Soziales und Kultur" sind z.B. 5,75 Prozent einzusparen. Im Ergebnis steht zu befürchten, dass gravierende Einschnitte bei den Sozialen Diensten, den Kindergärten, den Schulräumen, der Stadtbibliothek getätigt werden müssen.

Das wäre der soziale Kahlschlag in Wuppertal. Die konservative Mehrheit im Rat denkt schon sehr laut darüber nach, das Tafelsilber der Stadt zu verkaufen; z.B. die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, die der Garant für eine ausreichende Zahl von Sozialwohnungen ist.

Ihr seht aus den vorangegangenen Beispielen, dass die Kommunen im wahrsten Sinne des Wortes am Ende sind und Kommunale Selbstverwaltung anmutet wie ein Traum aus besseren Tagen.

Was erwarten wir von Euch?

Mit diesem Brief fordern wir Euch auf, Euch stark zu machen für eine Gemeindefinanzreform, die den Städten wieder die kommunale Selbstverwaltung ermöglicht.