Chancengleichheit von Anfang an!
Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
seit dem ersten PISA-Schock wird in Deutschland eine breite Diskussion geführt, die sich sowohl auf die innerschulischen, fachlichen und didaktischen Prozesse bezieht, als auch das Schulsystem als ganzes hinterfragt. Und auch die Ergebnisse der kürzlich präsentierten PISA-Studie 2006 haben daran nichts geändert. Zwar kann Deutschland in einigen Bereichen aufholen, aber ein Problem bleibt bestehen. Das gegliederte Schulsystem ist und bleibt ungerecht. Diese beiden Bereiche muss man trennen. Es können auch jetzt schon im bestehenden System Verbesserungen erreicht werden, aber das Problem der mangelnden Chancengleichheit wird man nur überwinden, wenn man das traditionelle Schulsystem überwindet. Vor allem Kinder aus einem so genannten bildungsfernen Elternhaus sind die Benachteiligten in Deutschland. Wir leisten uns ein Schulsystem, das Kinder mit zehn Jahren einkategorisiert und dessen angebliche Durchlässigkeit vor allem eine Durchlässigkeit von oben nach unten ist. Wir vergeuden eine Menge Potentiale, die sich möglicherweise erst im Verlauf der Schulkarriere in der weiterführenden Schule entfalten. Dieses Schulsystem ist behäbig und ungerecht und gehört daher auf den Prüfstand.
Es gibt nämlich tatsächlich keine Erkenntnisse dafür, dass gegliederte Schulsysteme in der Gesamtbetrachtung leistungsstärker sind als Systeme mit nur einer Schulform. Die Unterschiede zwischen den Schultypen sind allerdings erheblich. Und je früher die Kinder in einem gegliederten System auf unterschiedliche Schultypen verteilt werden, umso höher ist die Rolle, die das Elternhaus spielt. Das ist die wesentliche Erkenntnis der PISA-Studie und das wesentliche Argument gegen unser Schulsystem.
Viele Eltern haben dies bereits erkannt und haben daher bei der Wahl der weiterführenden Schule für ihre Kinder ein klares Zeichen gesetzt. Fast vierzig Prozent aller Wuppertaler Kinder, die für das Schuljahr 2007/ 08 auf eine weiterführende Schule wechseln sollten, wurden für die Gesamtschule angemeldet, in absoluten Zahlen sind das 1.344 von 3.409 Kindern. Das ist eine deutliche Sprache, insbesondere wenn man weiß, dass an den Wuppertaler Gesamtschulen 778 Plätze zur Verfügung standen. Das heißt, dass weit über 500 Schülerinnen und Schüler nicht auf die Schulform ihrer Wahl wechseln können. Das erfordert, aus meiner Sicht, eine Reaktion seitens der Politik. Die Eltern haben das Recht auf eine freie Wahl der Schulform für ihre Kinder und wir müssen diese ermöglichen. Es handelt sich hier nicht um eine ideologische Debatte. Es handelt sich um die Anpassung unseres Schulsystems an die Realität.
Der neue Schuldezernent Herr Dr. Kühn hat in einem Interview mit der WZ die Einführung von Gemeinschaftsschulen im Rahmen der Schulentwicklungsplanung für weiterführende Schulen kategorisch abgelehnt. Ich weiß nicht, ob er damit jede Art von integrativen Schulkonzepten meint, wir glauben allerdings, dass hinsichtlich der überwältigenden Nachfrage nach solchen Angeboten eine frühzeitige Festlegung falsch wäre und im übrigen ein falsches Signal darstellte. Wir halten eine ergebnisoffene Prüfung für absolut selbstverständlich. Wir wollen nicht, dass jetzt eine große Chance vertan wird, die Wuppertaler Schullandschaft dem tatsächlichen Bedarf anzupassen, denn für uns ist Schulentwicklungsplanung nicht nur mit Schließungen verbunden. Sie kann auch eine Chance sein, eine Chance zur Verbesserung des bestehenden Angebotes.
Die Erkenntnis, dass unser Schulsystem Veränderungen benötigt, ist mittlerweile bei vielen angekommen. Eine ganze Reihe von Bundesländern, darunter auch CDU-regierte Länder, bauen ihr Schulsystem um und auch in NRW gibt es Stimmen, die das derzeitige dreigliedrige System überwinden wollen, an der Spitze die Grünen und die SPD. Aber auch die FDP rückt immer mehr von der Dreigliedrigkeit ab und möchte über Fortentwicklungen nachdenken.
Es gilt nun, wie die ehemalige NRW-Schulministerin es mit Blick auf die Möglichkeiten integrativer Schulkonzepte sagte, den Elternwillen ernst zu nehmen und die Möglichkeiten des eigenen Schulgesetzes endlich auszuschöpfen. Lassen Sie uns in Wuppertal endlich damit beginnen.
Vielen Dank.