6. Gesamtschule
Herr Oberbürgermeister,
meine Damen und Herren,
mehr als drei lange Jahre sind seit dem Grundsatzbeschluss zur Errichtungeiner sechsten Gesamtschule in Wuppertal ins Land gegangen. Eine lange Dauer, in der genügend Zeit bestand, um mit aller Sorgfalt eine überzeugende Lösung für den Standort der neuen Schule zu entwickeln. Daher ist das Ergebnis dieser Prüfung, das uns seit Ende November vorliegt, für uns in vielerlei Hinsicht eine echte Enttäuschung.
Zunächst ist die Dependance-Lösung zu nennen. Die für die Sekundarstufe I und II ausgewählten Schulstandorte liegen rund viereinhalb Kilometer voneinander entfernt. Wie diese Distanz dazu führen soll, dass ab dem Zeitpunkt der Eröffnung der Sekundarstufe II eine gemeinsame Schule mit einem gemeinsamen Lehrerkollegium entstehen kann, ist mir unklar. Um genau dies in der Regel zu verhindern, sieht das Schulgesetz in §83, Absatz 5 vor, dass solche Lösungen nur im begründeten Ausnahmefall realisiert werden sollen. Die ausdrückliche Begründung der Ausnahme sehe ich in diesem Fall nicht. Genau so wenig wird dies von der Bezirksregierung gesehen, darauf verwies der zuständige Fachdezernent Klaus Nevries in der vergangenen Schulausschusssitzung. Vielmehr kündigte er an, die Genehmigung der Gesamtschule nur unter Auflagen erteilen zu können. Ich finde, das ist schon ein starkes Stück, denn in der uns vorliegenden Drucksache erwähnt die Fachverwaltung zwar Beratungsgespräche mit der Bezirksregierung, die in der Ausschusssitzung formulierten Bedenken werden hier allerdings mit keinem Wort erwähnt.
Auch wir sehen bei der Zweiteilung massive organisatorische Probleme auf die Schule zukommen.
Und auch bei der Standortwahl beweisen die Urheber dieses Vorschlages keine besondere Weitsicht. Insbesondere die räumliche Nähe zur Else-Lasker-Schüler-Gesamtschule bereitet uns Sorge. Wer sich mit den Schulen in unserer Stadt ein wenig auskennt weiß, dass die ELSE mit einem schwierigen sozialen Umfeld umgehen muss. Bislang gelingt ihr das auch dank des Engagements der Lehrerschaft und aller am Schulleben beteiligten, ausgesprochen gut. Trotzdem habe ich in persönlichen Gesprächen die latente Sorge der Schule vermittelt bekommen, dass durch die Neugründung im Norden Elberfelds die Situation für die ELSE ausgesprochen heikel wird. Wenn zukünftig die sechste Gesamtschule mit der ELSE in den Wettbewerb um Schülerinnen und Schüler tritt, läuft diese Gefahr, Probleme mit der Heterogenität ihrer Schülerschaft zu bekommen. Diese Sorgen sollten wir alle sehr ernst nehmen.
Aber nicht nur inhaltlich wirft der Vorschlag für die Errichtung der sechsten Gesamtschule viele Fragen auf. Sie ist offenbar so sehr mit der heißen Nadel gestrickt, dass man das Gefühl haben kann, der Grundsatzbeschluss sei nicht schon vor drei Jahren, sondern erst vor drei Wochen gefasst worden.
So wäre eine Präzisierung hinsichtlich des räumlichen Konzeptes an den beiden Standorten durchaus wünschenswert und auch machbar gewesen, immerhin ging der Entscheidung, uns diesen Vorschlag vorzulegen, auch eine Prüfung des GMW voraus. Es wäre hochinteressant und für die Beratung durchaus nützlich gewesen, wie die zusätzlichen 45 Räume an der Kruppstraße realisiert werden sollen. Immerhin nennt die Standortuntersuchung aus dem Jahr 2007, die das Gebäudemanagement im Rahmen des Schulentwicklungsplanes für weiterführende Schulen vorgelegt hat, insgesamt ein Erweiterungspotential von 23 Räumen für diese Schule. Darüber, wie fast doppelt so viele Räume ohne eine Vergrößerung der Fläche und ohne Verlust der vorgeschriebenen Schulhoffläche pro Schüler, geschaffen werden sollen, erfahren wir leider nichts.
Eine peinliche Schlappe mussten die Kooperationspartner in der Schulausschusssitzung bei der Frage des Ganztags einstecken. Auch dies ein Beleg für die unzureichende Qualität dieser Drucksache. Während nämlich die Verwaltung und auch die SPD-Ratsfraktion auf eine entsprechende Nachfrage von mir, warum es in der Vorlage keinen Hinweis auf die Ganztägigkeit der Schule gäbe, antworteten, dies sei nicht nötig, da es sich um eine Selbstverständlichkeit handele, machte der eben schon erwähnte Fachdezernent der Bezirksregierung deutlich, dass ohne einen entsprechenden Hinweis die geplante sechste Gesamtschule nicht genehmigungsfähig sei. Wie kann es zu solchen Fehlern kommen, wenn es doch im Vorfeld angeblich intensive Beratungsgespräche gegeben hat?
Darüber hinaus möchte ich noch ein besonderes Augenmerk auf das Hauptargument für die Auswahl der beiden Standorte legen. Da heißt es in einer Pressemitteilung der SPD Fraktion vom 05.12.:
„Aus schulplanerischer Sicht ist es im Übrigen vollkommen richtig, dass wir bei der nun gefundenen Lösung weder ein Gymnasium noch eine Realschule schließen, denn für beide Schulformen sind die Anmeldezahlen stabil. Ganz im Gegensatz zu den Anmeldezahlen der beiden zur Rede stehenden Hauptschulen“.
Das heißt, sie haben über drei Jahre gebraucht, um den Grundsatzbeschluss umzusetzen, weil sie erst in diesem Jahr gemerkt haben, dass die Anmeldezahlen an Gymnasien stabil und die Anmeldezahlen an Hauptschulen unzureichend sind? Dass die Anmeldezahlen bei den Gymnasien seit Jahren stabil sind und wir bei den Hauptschulen massive Probleme haben, ist doch seit langem hinreichend bekannt. Aber die Entscheidung über die Errichtung der sechsten Gesamtschule ist doch eine Grundsätzliche. Wenn wir im Sinne einer Ausweitung des längeren gemeinsamen Lernens einen echten Umbau des Schulsystems auch auf städtischer Ebene realisieren wollen, dann sind die Anmeldezahlen ein Aspekt, der berücksichtigt werden muss, aber eben nicht der Einzige. So hat der Schulausschuss noch im Juli dieses Jahres einen Antrag der FDP zum Verzicht auf die Schließung eines Gymnasiums zugunsten der Errichtung einer sechsten Gesamtschule abgelehnt. Begründet wurde dies von fast allen Fraktionen damit, man wolle sich keine Option für die Umsetzung nehmen lassen. Dass die FDP insbesondere die stabilen Anmeldezahlen an den Gymnasium in den Mittelpunkt ihrer Begründung rückte, spielte in der Diskussion so gut wie keine Rolle. Jetzt plötzlich machen sich die Rathauspartner genau dieses Argument der FDP zu eigen. Verstehen kann man das nicht.
Gesamtschulen sind kein Ersatz für nicht mehr nachgefragte Hauptschulen, sie sind eine Alternative zum gegliederten Schulsystem insgesamt!
Alles in Allem ist dieser Vorschlag leider ein passender Beweis dafür, dass das Thema „Längeres gemeinsames Lernen“ von Schwarz-Rot nicht mit der nötigen Überzeugung verfolgt wird. Über drei Jahre für einen typischen Groß-Koalitionären Kompromiss, bei dem fast alle Fraktionen im Schulausschuss sowie die Gesamtschulleiterinnen und die Bezirksregierung Bauchschmerzen haben: das ist schon ein ziemlich schwaches Bild.
Gleichwohl werden wir dem Vorschlag der Verwaltung zustimmen. Trotz aller gut begründeten Kritik halten wir den Abbau des massiven Anmeldeüberhangs bei den Gesamtschulen, der unserer Stadt den Spitzenplatz im Regierungsbezirk eingebracht hat, für vorrangig. Es wird allerdings von großer Wichtigkeit sein, die Bedenken, die während der Beratung geäußert wurden, ernst zu nehmen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Gegensteuerung zu ergreifen, wenn zum Beispiel an anderen Schulen erhebliche Probleme bei der Heterogenität der Schülerschaft entstehen. Dafür nennt das Schulgesetz in §84.1 ausdrücklich das Recht des Schulträgers, für jede öffentliche Schule Schuleinzugsbereiche zu bilden.
Auch der Hinweis der Bezirksregierung, der von den Gesamtschulleiterinnen unterstützt und konkretisiert wurde, dass man bis 2019 Alternativen zu der Planung zur Einrichtung der Sekundarstufe II am Röttgen in den Blick nehmen sollte, ist mit Rücksicht auf die Kritik an der Dependance-Lösung sinnvoll.
Und zu guter Letzt werden wir sehr genau zu beobachten haben, ob mit der heutigen Entscheidung der bedarfsgerechte Abbau des Überhangs auf bezirklicher Ebene zu realisieren ist. Wir gehen davon aus, dass das Thema weiterhin aktuell bleiben wird und wir uns bald schon über die Errichtung integrierter Schulen unterhalten müssen.
Vielen Dank.