Aktuelle halbe Stunde zur Demo am 16.06.2018
Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Marc Schulz in der Sitzung des Rates am 09.07.18
Video:
Marc_1_2_Aktuelle halbe Stunde Teil 2
Quelle: Rats TV der Stadt Wuppertal
Herr Oberbürgermeister,
meine Damen und Herren,
die Vorgänge rund um die Nazi-Demo am 16.06.2018 hier in Wuppertal haben es in der Zwischenzeit bis in den Innenausschuss des Landtags und bis in die bundesweite Presseberichterstattung geschafft. Was als Irritation wegen der unterbliebenen Koordination der Demo-Route mit der Abschlussveranstaltung des Tanzprojektes „tanz, tanz…“ begann, hat sich mittlerweile zu einem echten Vertrauensproblem für die Wuppertaler Polizeiführung entwickelt. Aus diesem Grund haben wir GRÜNE dieses Thema heute für eine Aktuelle halbe Stunde angemeldet und darum gebeten, den Polizeipräsidenten hinzuzuladen, damit er vor dem Rat der Stadt Stellung beziehen kann. Einen vergleichbaren Fall hat es, die dienstälteren im Rat werden sich erinnern, bereits am 10.10.2011 gegeben, als die damalige PP Radermacher hier zu den Vorfällen in Vohwinkel sprach. Bedauerlicherweise ist ihr Nachfolger diesem Wunsch nicht nachgekommen. Bedauerlich deshalb, weil auch heute wieder neue Fragen aufgekommen sind, die die Glaubwürdigkeit der Polizeiführung leider massiv schwächen. Aber dazu später.
Am 16.06. gab es in unserer Stadt in Reaktion auf einen Aufmarsch der rechtsextremistischen Partei „Die RECHTE“ vielfältige Gegenaktionen, die deutlich machten, dass Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Hass in unserer Stadt keinen Platz haben. Meine Kollegin Anja Liebert und ich waren am Berliner Platz und es war wirklich eine angenehme und friedliche Atmosphäre ohne jede Aggressivität. Und auch die Polizei machte vor Ort einen sehr kooperativen und deeskalierenden Eindruck. So wurde, obwohl die Demo offenbar nicht angemeldet war, sehr schnell per Megaphone bekannt gegeben, dass man bereit sei, die Veranstaltung nachträglich anzuerkennen und man hierfür einen Versammlungsleiter bräuchte, den man dann auch schnell fand. Erst Mitte letzter Woche wurde mir bekannt, dass vom Polizeipräsidium Wuppertal ein Strafverfahren wegen Verstosses gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet wurde. Das ist der erste Punkt, bei dem mich erläuternde Ausführungen des PP interessiert hätten.
Das Klima schien sich dann im weiteren zeitlichen Verlauf deutlich verändert zu haben. Und damit kommen wir zu dem Vorfall am Geschwister-Scholl-Platz. Ich zitiere aus dem Bericht von Minister Reul für den Innenausschuss des NRW-Landtags:
Gegen 15:05 Uhr habe sich der Beschuldigte L. in der Gruppe auf Höhe des Geschwister-Scholl-Platzes (B7 – Örtlichkeit Höhne) befunden, die im Anschluss versuchte, die Strecke des Aufzugs des rechten Spektrums zu blockieren. Er sei der beschränkenden Verfügung, die Strecke zu verlassen, nicht nachgekommen und sei mittels einfacher körperlicher Gewalt in Richtung des dortigen Gehwegs geschoben worden. Der Beschuldigte habe die Hände des Beamten weggeschlagen und sich den Polizeibeamten schubsend der Maßnahme widersetzt. Ein weiterer Beamter habe den Beschuldigten an der Schulter in Richtung Gehweg abgedrängt. Dabei habe sich dieser dadurch zur Wehr gesetzt, dass er lautstark schrie und mit hektischen Handbewegungen auf den Bereitschaftspolizeibeamten wiederum zugegangen sei. Daraufhin sei er gezielt zu Boden gebracht worden. Gegen die Fixierung am Boden habe er sich aktiv gesperrt. Dem Beschuldigten seien daher Einweghandfesseln angelegt worden.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete vergangene Woche bundesweit über diesen „Fall von Polizeigewalt“ (nicht meine Worte!) wie folgt:
Ein bisher unveröffentlichtes Video, das die Süddeutsche Zeitung auswerten konnte, hat jenen Moment dokumentiert, der seither Wuppertal erregt.
Der Mann geht langsam zum Bürgersteig. Der 60-Jährige schimpft, wischt mit der Hand kurz hinter seinen Rücken, nachdem der Beamte ihn von hinten angetippt hat. „Ich lass mich nicht schubsen“, will Thomas Lenz gerufen haben. Lenz und der Ordnungshüter kommen sich nun näher, körperlich jedenfalls. Kaum 20 Zentimeter trennen ihre Köpfe. Der Bürger meckert, der Polizist hebt den Zeigefinger – und packt plötzlich zu: Mit dem Arm nimmt er den Kopf des Demonstranten in den Schwitzkasten, ringt den Mann zu Boden, nach fünf Sekunden hocken drei Polizisten auf ihm. Lenz wehrt sich nicht, seine Hände werden mit einem Plastikband gefesselt. Dann zeigt das Video, wie plötzlich eine Hand dem Bürger unters T-Shirt fährt, ihm nahe der Leber an den Bauch greift. Ein Arzt wird Thomas Lenz später ein faustgroßes Hämatom attestieren.
Meine Damen und Herren,
ich habe es Ende letzter Woche gesagt und ich sage es wieder: das ist keine normale Fixierung, das ist ein Fall von Misshandlung.
Die WZ beschreibt die in dem Video festgehaltene Szene übrigens in gleicher Weise. Keine körperliche Gewalt, keine Gegenwehr. Der NRW-Innenminister kommt auf Grundlage eines Berichtes der Polizei Wuppertal zu dem Fazit: „Auf Basis der jetzigen Erkenntnisse ist die Polizei differenziert und mit angemessener Einschreitschwelle vorgegangen“. Wenn das differenziert und angemessen ist, mache ich mir wirklich große Sorgen.
Zu guter Letzt: der eigentliche Ausgangspunkt der Diskussionen hier in Wuppertal war ja die Absage der Tanzveranstaltung auf dem Geschwister-Scholl-Platz.
Eine Berücksichtigung dieser Veranstaltung bei der Demo-Route der Rechtsextremisten hat laut Polizeipräsident im Vorfeld nicht erfolgen könne, da die Polizei erst kurz vor Durchführung von dem Event erfahren habe und zwar nicht von der Stadt, sondern vom Veranstalter selbst und deshalb eine Streckenverlegung nicht mehr gerichtsfest hätte durchgesetzt werden können. Wir sind zwar noch nicht so weit in der Tagesordnung, aber ich möchte sie auf die Antwort der Verwaltung auf unsere große Anfrage unter TOP hinweisen. Hier heißt es:
Meine Damen und Herren,
bei derartigen Fehl- bzw. Falschinformationen muss man ja schon beinahe aufpassen, welche Worte man zur Bewertung benutzt. Tatsache ist aber, dass die Polizeiführung offensichtlich versucht hat, hier den schwarzen Peter der Stadt unterzuschieben. Auch hier hätte mich die Einschätzung des PP sehr interessiert, er wird wissen, warum er nicht gekommen ist.
Ich möchte zum Schluss eines sehr deutlich sagen: wir alle, naja – fast alle – hier im Saal haben, so meine ich, das gleiche Ziel. Wir wollen, dass die Polizei für unsere Sicherheit und für Ordnung sorgt und dass ihr hierfür das nötige Vertrauen und Respekt entgegengebracht wird. Ich meine, dass dieses Vertrauen aber eben dadurch entsteht, dass das Handeln der staatlichen Institutionen in einem Rechtsstaat und also auch der Polizei kritisch hinterfragt werden kann und Fehlverhalten Konsequenzen hat.
Das Verhalten im Vorfeld der Demo, wo Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gegendemos bereits vorab als paramilitärisch und gewaltbereit eingestuft wurden, während der Veranstaltung und im Nachgang, wo das vollkommen überzogene Vorgehen einzelner (und ich wiederhole: einzelner) Polizeibeamter als angemessen und differenziert beurteilt wurde, hat Auswirkungen auf die Mobilisierungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft bei zukünftigen Nazi-Aufmärschen. Das ist der Punkt, der mich wirklich wütend macht. Natürlich wird sich demnächst jeder zweimal überlegen, ob er an einer Gegendemo teilnimmt und damit offen zeigt, dass Wuppertal für Toleranz und Weltoffenheit steht und für Nazis keinen Platz hat. Ich möchte, dass die Menschen sich auch weiterhin dafür entscheiden, mutig zu sein und sich den Menschenfeinden entgegenzustellen.
Und deshalb fordere ich, dass die Polizei ihr Verhalten hinterfragt und für die Zukunft entsprechende Konsequenzen zieht.