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Sprachmittler*Innen in der frühen Gesundheitsversorgung und Diagnostik von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen, Entwicklungsstörungen und Teilhabebeeinträchtigungen

18. Mai 2022

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit am 31.05.2022, an den Hauptausschuss am 20.06.2022 und an den Rat der Stadt Wuppertal am 21.06.2022 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrter Herr Ramette,

damit Leistungen gemäß Bundesteilhabegesetz (BTHG) und dem Eingliederungshilferecht (SGB IX Teil 2), sowie gemäß der im Rahmen von Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII §35a erfassten Eingliederungshilfe für seelisch behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche, umgesetzt und wirksam werden können, bedarf es einer eingehenden Aufklärung und Beratung der betroffenen Kinder, Jugendlichen und Familien zum Störungsbild bzw. zur Erkrankung, Beeinträchtigung oder Behinderung.

Leistungen und Behandlungen, seien sie diagnostischer, medikamentöser, therapeutischer oder kombinierter Art, können nur mit Mitarbeit und Einverständnis der Betroffenen umgesetzt werden und auch nur dann wirksam sein. Viele der Leistungen erfordern eine Kooperation des unmittelbaren Umfeldes der betroffenen Person und zwar umso mehr, je jünger die betroffene Person ist.

Vor diesem Hintergrund beantragt die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Sozialausschuss, der Hauptausschuss und der Rat der Stadt Wuppertal mögen folgenden Beschluss fassen:

Die Verwaltung wird beauftragt

1) für die Finanzierung von qualifizierter Sprach- und Integrationsmittlung in der ambulanten gesundheitlichen und therapeutischen Versorgung von Wuppertaler Kindern und Jugendlichen im Rahmen ihrer Behandlung in den unter 2) genannten Einrichtungen ein Budget von 30.000 € jährlich einzurichten.

2) die Leistungen der Sprach- und Integrationsmittlung in folgenden Einrichtungen aus diesem Budget zu decken:

a)Frühförderstelle Arrenberg behindert na und? e. V.

b) Frühförderstelle CURA e. V.

c) Sozialpädiatrisches Zentrum, Helios Klinikum Wuppertal

d)Kinderhospiz Burgholz

3) für die unter 2) genannten Einrichtungen ein unbürokratisches Verfahren zur Abrechnung der Sprachmittler*Innen- Leistungen zu etablieren, dessen Bestandteil die Beauftragung der Leistung durch die versorgenden Einrichtungen selbst ist und die Rechnungsstellung an die zu benennende städtische Verwaltungseinheit erfolgt.

Alternativ

die Aufgabe der Koordination einem geeigneten Leistungsanbieter zu übertragen, der die Anforderungen für ein qualifizierte Sprach- und Integrationsmittlung erfüllt und Erfahrungen mit der Thematik der unter 2) genannten Versorgungsstrukturen hat, z.B. SprInt Wuppertal.

4) zur Finanzierung des Budgets Fördergelder aus dem europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) zu beantragen und ggf. weitere Finanzierungsquellen, z.B. gemeinnützige Stiftungen (bspw. Gemeinschaftsstiftung Wuppertal, Dr. Werner Jackstädt-Stiftung, Kämpgen-Stiftung) zu diesem Zweck zu kontaktieren.

5) die Punkte 1) bis 4) bis Ende des Jahres 2022 umzusetzen.

 

Begründung und Hintergrund

Die EU stellt für Projekte in den Bereichen Asyl, Migration und Integration Fördergelder zur Verfügung. In Hamburg und Bremen werden auf Landesebene bereits Projekte gefördert, die Dolmetscherleistungen in der ambulanten psychotherapeutischen und medizinischen Versorgung umfassen.

Wie die Antwort auf die Anfrage der GRÜNEN Fraktion vom 06.04.2021 (VO/0159/21/1-A) ergeben hat, besteht für die Sprachmittlung in der ambulanten medizinischen, medikamentösen, therapeutischen oder psychologischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen deren Sorgeberechtigten nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen keine Infrastruktur und Finanzierungsgrundlage.

Es wird auf die Möglichkeit der Patientenschaft verwiesen, über das Asylbewerbergesetz (AsylbLG §§4 oder AsylbLG §6) selbst Leistungen für Dolmetscher*innen zu beantragen. Abgesehen davon, dass nur ein kleiner Teil der Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse unter das AsylbLG fällt, wird die Verantwortung hier auf die Patientenschaft geschoben inkl. Antragsbürokratie.

Der Deutsche Ethikrat hat bereits 2016 festgestellt: „Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Sicherstellung einer informierten selbstbestimmten Entscheidung sollte der Gesetzgeber die Kosten für eine notwendige professionelle Übersetzung im Kontext einer interkulturellen Behandlungssituation sowie eine Übersetzung in Gebärdensprache für gehörlose Patienten im fallbasierten Abrechnungssystem abbilden.“ (Deutscher Ethikrat 2016, S.135).

Die Situation ist auch auf Bundesebene bereits als Versorgungslücke thematisiert worden, siehe hierzu Sachstand von 2017 (Aktenzeichen WD 9 – 3000 – 021/17). Die Problematik wird mit allen Aspekten auch in diesem wissenschaftlichen Artikel zusammengefasst, wobei hier allein die Situation mit der erwachsenen Patientenschaft angesprochen wird: https://www.springermedizin.de/ethische-aspekte-des-dolmetschens-im-mehrsprachig-interkulturell/15945188. Dabei ist das Problem im Bereich der Versorgung von Kindern und Jugendlichen noch größer, da ggf. von Behinderung betroffene oder chronisch kranke Minderjährige noch viel mehr auf eine gute Kommunikation zwischen den sorgeberechtigten und pflegenden Angehörigen und Behandler*innen angewiesen sind.

Die Folgen nicht erfolgter oder falsch verstandener ärztlich-psychologischer Aufklärung in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sind bedeutsam. Wenn das Ziel und der Zweck von Therapien und Medikamenten nicht verstanden werden, wird der Erfolg gefährdet.

Wenn Betroffene gewichtige eigene Kriterien und Präferenzen im Hinblick auf die Behandlung nicht mitteilen können, sinkt ihre Kooperation. Keine Partizipation bedeutet in diesem Bereich häufig, dass Behandlung ins Leere läuft, dass Hilfsmittel verschrieben werden, die eher als Bürde denn als Hilfe verstanden werden. Das sind ganz konkret auch Kosten für das Gesundheitssystem, die verbrannt werden. Das sind im Falle langer Therapien und Hilfsmittel durchaus signifikante Beträge.

Und es bedeutet auch, dass Familien häufiger die Einrichtungen aufsuchen, da die Probleme oder Symptome letztlich zunehmen. Manchmal führt die fehlende Möglichkeit der Kommunikation und der Missmut darüber auch zu einem Diskriminierungsvorwurf von Seiten der Betroffenen. Und sie haben ja letztlich recht damit, denn bei fehlender Möglichkeit sich gegenüber Behandler*innen mitzuteilen wird das Recht eines Kindes auf Patientenselbstbestimmung verletzt.

Die Kommune hat die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und allen Kindern und Jugendlichen gleichberechtigt den Zugang zu Leistungen gemäß Bundesteilhabegesetz (BTHG) und dem Eingliederungshilferecht (SGB IX Teil 2), sowie gemäß der im Rahmen von Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII §35a erfassten Eingliederungshilfe für seelisch behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche zu ermöglichen.

Partizipation ist ein Schlüsselkriterium im BTHG und Kommunikation ein unabdingliches Instrument hierfür. Nicht zuletzt ist eine ausreichende Kommunikation zwischen Behandler*innen, Gesundheitssystem und Betroffenen auch Voraussetzung für erfolgreichen Kinderschutz, gerade im Bereich der frühkindlichen Versorgung und der Sicherstellung der Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung aller Kinder.

 

Mit freundlichen Grüßen

Marta Ulusoy              Marcel Gabriel-Simon

Stadtverordnete          Stadtverordneter