Startseite > Neuausrichtung des AngstFreiRaum-Konzepts – Antrag zur Tagesordnung, TOP 4 „Bürgerbeteiligung bei der zukünftigen Fortschreibung des AngstFreiRaumKonzepts„ (VO/0305/23)

Neuausrichtung des AngstFreiRaum-Konzepts – Antrag zur Tagesordnung, TOP 4 „Bürgerbeteiligung bei der zukünftigen Fortschreibung des AngstFreiRaumKonzepts„ (VO/0305/23)

2. November 2023

Gemeinsamer Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen am 02.11.2023

Sehr geehrter Herr Köksal,
die Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE beantragen, der Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen möge anstelle der Drucksache VO/0305/23 folgendes beschließen:
Das AngstFreiRaum-Konzept der Stadt Wuppertal (zul. erschienen unter VO/1674/23) möge überarbeitet werden. Folgende Räume sollen im AngstFreiRaum-Konzept besonderes Augenmerk erfahren:
1. Räume mit ÖPNV-Bezug (Bahnunterführungen, Bahnhöfe, Bushaltestellen)
2. Räume mit wenig Frequentierung (Gewerbegebiete, Parkplätze, Grünanlagen)
3. Räume, die Menschen häufig alleine aufsuchen (Treppen, wenig frequentierte Plätze, Unterführungen, Parkhäuser)
Wissenschaftliche Erkenntnisse in der Begegnung von subjektiv angstbehafteten Orten sollten in die Neukonzeption einfließen. Die Analyse der subjektiv angstbehafteten Räume unter zuvor aufgestellten Kriterien (z.B. bauliche Aspekte, Beleuchtung, subjektiv unerwünschte Personengruppen, Verwahrlosung) sollte mit Beteiligung der Bürger:innen in jedem Stadtbezirk geschehen. Zudem sollten bei diesem, unter der Querschnittsaufgabe „Sicherheit“ laufendem Prozess, neben den vorhandenen Kooperationen in den Quartieren, der kommunale Ordnungsdienst und die Bezirksbeamt:innen der Polizei eingebunden werden. Auch eine Kooperation mit der Bergischen Universität im Hinblick auf die Neuausrichtung des AngstFreiRaum-Konzepts sollte seitens Stadt geprüft werden. So forscht z. B. Dr. Tim Lukas, Leiter der Abteilung Objektsicherheit am Lehrstuhl für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, an Lösungen, um städtische Angsträume aufzulösen. Die Fortschreibung des Konzepts sollte alle drei Jahre erfolgen.

Begründung:
Angsträume bezeichnen allgemein Orte, die aufgrund ihrer Lage, Baustruktur und Nutzung von bestimmten Menschen gemieden werden, da sie dort ein erhöhtes Gefühl von Unsicherheit empfinden. Konkret sind damit meist öffentliche Räume gemeint, in denen das Gefühl einer Bedrohung durch Kriminalität bei vielen Menschen besonders stark ausgeprägt ist. Der Begriff kann sich sowohl auf ganze Straßenzüge beziehen als auch auf kleine Bereiche, etwa unübersichtliche Stellen in Parkhäusern oder dunkle Unterführungen. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Angstraum) Angsträume sind in Wuppertal in verschiedenen Variationen vorhanden und lassen sich als solche nicht immer klar erkennen. Vielmehr spielen subjektives Empfinden, die Wahrnehmung der Menschen und z. B. auch die Tages-/Jahreszeit, Baustruktur und (fehlende) Beleuchtung sowie die Nutzung der Räume eine Rolle, ob ein öffentlicher Raum Angst einflößen kann. Nicht zuletzt ist das Empfinden auch abhängig von der (sozialen) Gruppenzugehörigkeit, dem Geschlecht und der Verankerung in Wohnumfeld und Nachbarschaft.
Es ist folglich nicht möglich, Angsträume allein durch objektive Kriterien festzulegen. Vielmehr spielen hier die subjektiven Einschätzungen der einzelnen Personen die entscheidende Rolle. Vor allem Frauen sind betroffen von Unsicherheitsgefühlen und ändern deshalb oft ihr Verhalten im öffentlichen Raum. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung über „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“ mit 47.000 Teilnehmenden, die im November 2022 vom Bundeskriminalamt veröffentlicht wurde, zeigt: Mehr als die Hälfte der befragten Frauen vermeidet insbesondere in den Abend- und Nachtstunden bestimmte Orte und Verkehrsmittel. Einfluss auf diese subjektive Wahrnehmung haben eine Vielzahl von Faktoren, angefangen bei der Erziehung („Geh nicht alleine im Dunkeln raus“), über Hörensagen und medienvermittelte „Bilder“ aber auch persönliche Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen. Dennoch lassen sich durch Rückgriffe auf Stadtplanung, Sozialpsychologie sowie Bürger:innen-Befragungen und unter Berücksichtigung von Gender-Mainstreaming-Aspekten Räume erschließen, die subjektiv angstbehaftet sind und wo direkte Maßnahmen zur Auflösung der subjektiv aufkommenden Angst sinnhaft erscheinen. Die Identifizierung und Beseitigung von Angsträumen in Stadtgebieten ist eine gemeinsame Aufgabe von Sicherheits- und Stadtentwicklungspolitik. Ziel des Antrags ist die evidenzbasierte Analyse von verschiedenen Räumen im Wuppertaler Stadtgebiet, die Menschen als subjektiv angstbehaftet begreifen und daher eher meiden. Dabei ist stets zu beachten, dass einzelne Gruppen andere Ansprüche an Räume stellen als andere, sodass eine Balance zwischen verschiedenen Nutzer:innen-Gruppen hergestellt werden muss, was durchaus zu Zielkonflikten führen kann.
Dabei müssen diese Räume je Stadtbezirk gemeinsam mit den Bürger:innen dokumentiert werden und dann mit Hilfe einer Bewertungsmatrix auf verschiedene Teilaspekte hin untersucht werden. Wichtig im Bereich der Findung und Analyse der subjektiv angstbehafteten Orte ist die Beachtung von Gender-Mainstreaming-Aspekten. Mittel- und langfristig sollen die Ergebnisse der Angstraum-Analyse für die nachhaltige Stadt- und Raumplanung genutzt werden. Einen guten Ansatz zur Detektion von städtischen Angsträumen bietet auch eine Studie, die im Jahr 2018 veröffentlicht wurde: Das Leitthema des Forschungsprojekts war die Entwicklung und Validierung eines Datenmodells zur automatisierten Ableitung von Angsträumen auf Basis von Geoinformationen am Beispiel der Stadt Bochum (NRW). Dafür wurde zunächst auf Basis von Literaturrecherchen ein theoretisches Datenmodell zur systematischen Beschreibung von Angsträumen entwickelt. Anschließend wurde dieses mit vorhandenen Geoinformationen gefüllt, sodass mit Hilfe raumbezogener Analysen potenzielle Angsträume automatisch erzeugt werden konnten. Parallel wurde eine Bürgerbefragung durchgeführt, durch die, anhand von gezielten Fragen, reale Angsträume sowohl räumlich als auch hinsichtlich ihrer wesentlichen Merkmale standardisiert beschrieben wurden. Im Anschluss wurde durch eine Gegenüberstellung der Befragungsergebnisse mit den automatisiert ermittelten Angsträumen eine Validierung des Datenmodells durchgeführt. Durch dieses Vorgehen konnte eine erste Methodik entwickelt werden, um automatisiert aus den in einer Stadtverwaltung zur Verfügung stehenden Geodaten, Bereiche zu identifizieren und zu lokalisieren, in denen ein dringender Handlungsbedarf besteht. (Quelle:
https://www.researchgate.net/publication/324329404_Automatisierte_Detektion_von_Angstraumen_und_ihre_Auswirkungen_auf_die_nachhaltige_Stadtentwicklung)

 

Mit freundlichen Grüßen
gez.
Klaus Jürgen Reese
Michael Schulte
Dagmar Liste-Frinker
Alexander Schmidt
Susanne Herhaus