Inklusion von Beginn an: Kitas mit Fokus Inklusion
Gemeinsamer Antrag der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Jugendhilfeausschuss am 02.11.2021, an den Hauptausschuss am 11.11.2021 und an den Rat der Stadt Wuppertal am 16.11.2021
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr van Bebber,
im Hinblick auf die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und die Verbesserung der Betreuungsqualität in den städtischen Kindertagesstätten (im Folgenden Kita) für alle Kinder, stellen die Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den folgenden Antrag für die konzeptionelle Umsetzung von Inklusion im vorschulischen Betreuungsbereich der städtischen Kindertageseinrichtungen:
- In jedem Wuppertaler Stadtteil wird eine städtische Kita für den Fokus Inklusion ausgewählt. Bezüglich der Auswahl der jeweiligen Einrichtung sollte die Frage der baulichen Eigenschaften wie auch eine zentrale Lage im Stadtteil berücksichtigt werden, zudem schlagen wir vor, die Verwaltung möge bei der Entscheidung Expertise durch inklusionserfahrene Kinderbetreuungseinrichtungen privater und anderer Träger einholen.
- Die leitenden Fachkräfte der ausgewählten Kitas werden spezifisch in Bezug auf die Erstellung von Teilhabeplänen und die Beratung und Unterstützung von Eltern bei der Beantragung von Inklusionsleistungen und Eingliederungshilfen geschult.
- Zwischen den Kitas mit Fokus Inklusion und dem Fallmanagement des LVR erfolgt eine enge Kooperation, sobald und soweit die Stellen beim LVR-Fallmanagement besetzt sind, z.B. in Form von Präsenzangebot des/der zuständigen LVR-Fallmanagements bei Anmeldeveranstaltungen, z.B. „Tag der offenen Tür“ der betreffenden Einrichtungen, damit Bedarfe von Kindern mit (drohender) Behinderung vom Kita-Eintritt an berücksichtigt und angemessen versorgt werden können.
- Die Kitas mit Fokus Inklusion vernetzen sich untereinander, um fachliche Ressourcen zu teilen.
- Als Rahmenkonzept wird vorgeschlagen, dass in jeder Betreuungsgruppe einer Einrichtung mit Fokus Inklusion mindestens 8% (bei Regelgruppengröße von 25 entspricht dies 2 vollen Plätzen), maximal 30% der Betreuungsplätze als Inklusionsplätze mit Kindern mit (drohender) Behinderung besetzt werden. Diese Plätze werden in der Vergabe vorrangig an solche Kinder vergeben, mindestens 8% Plätze werden ausschließlich an Kinder mit (drohender) Behinderung vergeben.
- Pro Kind mit (drohender) Behinderung beantragt die Stadt als Kita-Träger die 3,5fache Kindpauschale nach KiBiZ und die Basisleistung I beim LVR mit Modell der Zusatzfachkraft. Aus diesen Zuwendungen werden langfristig zusätzliche Fachkräfte finanziert mit einem Mindestumfang, der der Mindestbelegung von 2 Plätzen für Kinder mit (drohender) Behinderung pro Kita-Gruppe entspricht.
- Bei der Einstellung der unter 6) benannten zusätzlichen Fachkräfte ist gemäß den Umsetzungsrichtlinien des BTHG eine heilpädagogische Qualifikation zu priorisieren und aktiv in die Ausschreibung aufzunehmen. Bei anderen pädagogischen Fachkräften wird die Bereitschaft zu einer entsprechenden inklusionsrelevanten Fortbildung vorausgesetzt.
- Sollte der besondere Bedarf eines Kindes mit (drohender) Behinderung nicht zu decken sein, wird mit den Eltern teilhabeorientiert die Notwendigkeit besprochen, zusätzliche individuelle Kita-Assistenz zu beantragen.
- Über Fortschritt und Umsetzung der Prozesse 1) bis 8) ist regelmäßig (mündlich) im Ausschuss Bericht zu erstatten.
Begründung
Inklusion von Beginn an! In der Antwort auf die Anfrage der Grünen Fraktion vom 07.06.21 (VO/0810/21/A-1) berichtet die Verwaltung, im Kita-Jahr 2019/20 seien in Wuppertal über alle Kita-Träger hinweg 229 Kinder mit (drohender) Behinderung betreut worden, im Kita-Jahr 2020/21 270. Auf die Gesamtzahl von Kindern zwischen 2 und 6 Jahren 2020 in Wuppertal berechnet sind dies im Jahr 19/20 1,5% und im Jahr 20/21 1,8 % aller Kinder zwischen 2 und 6 Jahren (Quelle Stadt Wuppertal, Ressort Wirtschaft & Stadtentwicklung/Daten und Fakten).
Nach Stadtbezirken gesplittet, relativ zum jeweiligen Anteil von Kindern zwischen 2-6 Jahren, ergibt dies pro Stadtbezirk folgenden Bedarf an inklusiven Kita-Betreuungsplätzen, hier nur anhand der 1,8% berechnet:
Stadtbezirk | Kinder zwischen 2 und 6 Jahre gesamt | 1,8% der Kinder zwischen 2 und 6 Jahren und somit Anzahl Bedarf an inklusiven Betreuungsplätzen für Kinder mit (drohender) Behinderung | |
Elberfeld | 2.533 | 45,6 | |
Elberfeld-West | 1.120 | 20,2 | |
Uellendahl-Katernberg | 1.231 | 22,2 | |
Vohwinkel | 1.339 | 24,1 | |
Cronenberg | 691 | 12,4 | |
Barmen | 2.494 | 44,9 | |
Oberbarmen | 2.286 | 41,2 | |
Heckinghausen | 978 | 17,6 | |
Langerfeld-Beyenburg | 1.050 | 18,9 | |
Ronsdorf | 862 | 15,5 | |
Gesamt | 15008 | 262,6 |
Es ist zu berücksichtigen, dass der hier orientierend errechnete Bedarf nicht den tatsächlichen Bedarf widerspiegelt, da nicht alle Kinder mit (drohender) Behinderung im zugrunde gelegten Kita-Jahr 2020/2021 tatsächlich eine Kita besuchten und Kinder mit (drohender) Behinderung, die in der Tagespflegebetreuung betreut werden, hier ebenfalls nicht in den angenommenen 1,8% enthalten sind. Auch wird es im betreffenden Kita-Jahr 20/21 betreute Kinder gegeben haben, bei denen eine (drohende) Behinderung (noch) nicht offiziell vermerkt war. Es ist zu vermuten, dass der tatsächliche Anteil von Kindern zwischen 2 und 6 Jahren mit (drohender) Behinderung insgesamt etwas höher liegt (geschätzt bei etwa 3-4%). Ein Teil der in dieser Altersgruppe auftretenden (drohenden) Behinderungen, vor allem diejenigen mit primär psychischer Symptomatik und assoziiert mit anderen psychosozialen Faktoren, sind mit ausreichend spezifischer Förderung behandelbar und vorübergehend, können sich aber entsprechend langfristig bis ins Schulalter hinein manifestieren, wenn ein individuelles, bedürfnisorientiertes Förderumfeld nicht gegeben ist.
Wie die Verwaltung in ihrer Antwort (VO/0810/21/A-1) beschreibt, ist es aktuell so, dass die Anpassung der pädagogischen/personellen Gegebenheiten oder der Gruppenstärke bei Feststellung einer (drohenden) Behinderung bei einem Kind meist frühestens im folgenden Kita-Jahr erfolgen kann. Dies verletzt die Rechte auf adäquate Förderung und Begleitung im Bildungsprozess der Kinder mit als auch ohne Behinderung, da die Kinder über Monate hinweg in einer pädagogisch nicht ausreichend ausgestatteten Situation betreut werden und zugleich eine unangemessen hohe Belastung auf der personellen Seite der Einrichtung besteht, trotzdem den beruflichen Ansprüchen und Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden. Das ist auch ein Faktor, der die Arbeitszufriedenheit entscheidend beeinflussen kann. Für die Kinder, auch diejenigen ohne (drohende) Behinderung, ist die Situation entwicklungspsychologisch betrachtet nicht tragbar, da schon ein halbes Jahr in diesem Alter enorme Entwicklungsprozesse beinhaltet, die adäquat begleitet werden müssen. Erinnern Sie sich selbst, wie lang für Sie als 6jährige*r ein Jahr war und was Sie alles in einem Jahr erlebt und gelernt haben.
Langfristig sollte neben der wertvollen Arbeit in den heilpädagogischen Kindertageseinrichtungen in jeder städtischen Kita Inklusion den kindlichen Bedürfnissen entsprechend funktionieren. Davon sind wir weit entfernt. Wenn aktuell ein Kind mit (drohender) Behinderung inklusiv in einer städtischen Kita betreut wird oder aufgenommen werden soll, werden die Einrichtung bzw. die Eltern mit der Organisation der Prozesse drumherum (Anträge stellen, Teilhabe- und Hilfepläne erstellen, Begleitung der Eltern, Umstrukturierung der eigenen Prozesse) allein gelassen. Häufig verfügen die entsprechenden Kräfte nicht über genügend Routine im Umgang mit diesen Anforderungen. Die Schwierigkeiten sind jedoch nicht nur an fehlender Routine festzumachen, sondern auch auf Erschwernisse bei der Umsetzung des Bewilligungsverfahrens durch den LVR zurückzuführen. Hinzu kommt, dass aktuell durch den bestehenden Fachkräftemangel die notwendigen Fachkraftstunden in vielen Einrichtungen nicht abgebildet werden können. Durch die fehlende Planbarkeit, d.h. in einem Jahr hat man keine Kinder mit (drohender) Behinderung und im nächsten Jahr vielleicht direkt 3 usw., fängt die gleiche Arbeit in der Einrichtung immer wieder von Neuem an.
Um
- diesem dysfunktionalen System entgegenzuwirken,
- für die Fachkräfte eine bessere Vorhersehbarkeit für die eigenen einrichtungsinternen Prozesse zu schaffen,
- die Qualität der inklusiven Betreuung und der Betreuung auch der Kinder ohne Behinderung in den städtischen Kitas zu verbessern und
- den Eltern von Kindern mit (drohender) Behinderung eine qualitativ gute und wohnortnahe Betreuungsmöglichkeit anzubieten
ist der Schritt, zunächst Kitas mit Fokus Inklusion in jedem Stadtbezirk zu definieren und konzeptionell auszustatten, eine überfällige Notwendigkeit. Selbstverständlich sollte dieser Prozess, wenn die hier aufgeführten Schritte implementiert sind, nach und nach auf alle städtischen Kitas erweitert werden, um dem Inklusionsprinzip gerecht zu werden, Teilhabe in unserer Stadt zu leben und dem Grundsatz „Kurze Beine, kurze Wege“ zu entsprechen.
Mit freundlichen Grüßen
Marta Ulusoy, Stadtverordnete
Ingelore Ockel, Stadtverordnete
Yazgülü Zeybek, Fraktionsvorsitzende
Caroline Lünenschloss, Fraktionsvorsitzende
Paul Yves Ramette, Fraktionsvorsitzender
Ludger Kineke, Fraktionsvorsitzender