Gemeinsame Resolution: Erfolgreiche Inklusion in Kindertagesstätten
Gemeinsamer Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, DIE LINKE sowie die Ratsgruppe FREIE WÄHLER an den Hauptausschuss am 04.05.2023 und an den Rat der Stadt Wuppertal am 08.05.2023
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
die Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, DIE LINKE sowie die Ratsgruppe FREIE WÄHLER beantragen, der Rat der Stadt Wuppertal möge folgende Resolution beschließen:
1. Im Zuge der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und der daraus resultierenden Vorgabe, dass heilpädagogische Kindertageseinrichtungen schrittweise in das System der Regel-Kitas übergehen sollen, setzt sich die Stadt Wuppertal auf allen relevanten Ebenen dafür ein, dass gewährleistet wird, dass es nicht zu einer Leistungsunterbrechung bzw. zu einem Qualitätsverlust bei der Betreuung von Kindern mit hohem Förderbedarf kommt, und dass insbesondere keine Betreuungsplätze für diese Kinder wegfallen.
2. Die Stadt Wuppertal appelliert darüber hinaus an den Landschaftsverband Rheinland (LVR), gemeinsam mit den zuständigen Entscheidungsträgern zu prüfen, ob einzelne heilpädagogische Gruppen in Kindertageseinrichtungen, auch über die derzeit laufende Übergangsphase hinaus, bestehen bleiben können, um betroffenen Eltern weiterhin die Wahlfreiheit zwischen der Betreuung ihrer Kinder mit mehrfachem Förderungsbedarf in inklusiven Gruppensettings oder in heilpädagogischen Gruppen zu ermöglichen.
Begründung:
Der Bericht des Trägers Leben in Vielfalt e.V. (LiV) zur auslaufenden Finanzierung heilpädagogischer Gruppen im Jugendhilfeausschuss am 25.10.2022 (s. auch WZ-Berichterstattung „Kommt das Ende heilpädagogischer Kitas?“) gab Anlass zur Sorge. In der LiV-Kita gibt es fünf heilpädagogische Gruppen, in denen ausschließlich Kinder mit mehrfachen Behinderungen und hohem Betreuungsbedarf (die aufgrund dessen bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht in einer Regel-Kita betreut werden könnten) betreut werden. Neben den heilpädagogischen Gruppen gibt es auch zwei inklusive Gruppen in der Kita, in denen Kinder mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam betreut werden. Insgesamt zählt die Kita ca. 90 Kinder, 60 von ihnen mit erhöhtem Betreuungsbedarf. Die Kinder werden in kleinen Gruppensettings von einem interdisziplinären Team betreut, dessen fachliche Vielfalt den Bedarfen der Kinder entspricht. Weitere 80 Kinder mit Förderbedarf sind nach Angabe des Trägers auf der Warteliste.
Die Sorge des Trägers ist, dass die avisierte Form von Inklusion in Regel-Kindertageseinrichtungen für Kinder mit sehr hohem Förderbedarf nicht umsetzbar sein wird, da die Bedarfe der Kinder in diesen Einrichtungen nicht beantwortet werden können. Weder existiert die notwendige Barrierefreiheit in vielen Räumlichkeiten oder wird eine Einzelbeförderung dieser Kinder zur Einrichtung gut umzusetzen sein, noch ist das Personal ausreichend befähigt, die doch sehr fachlich herausfordernden Betreuungen umzusetzen. Der Träger prognostiziert, dass diese Kinder nur in sehr zeitlich limitierten Betreuungszeiten dann in die Kitas kommen werden bzw. sogar ganz zu Hause bleiben, weil die Einrichtungen gar keinen Platz für Kinder mit sehr hohem Förderbedarf anbieten werden.
Im Gegenzug sieht es der Träger als kritisch an, die fachlich bislang bewährte Form der Mischung aus inklusiven KIBIZ-Gruppen (2 Stück) und 5 Kleingruppen ausschließlich für Kinder mit sehr hohem Förderbedarf aufzugeben – einerseits, weil so Plätze für diese Kinder verloren gehen, andererseits, weil diese Form der Konzeption aus unterschiedlichen Gruppentypen wesentlich besser den Bedarfen der Kinder entspricht als ausschließlich inklusive KIBIZ-Gruppen.
Hintergrund dieser Befürchtungen ist: Mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sind Träger der Kindertagesbetreuung aufgefordert, Rahmenbedingungen für die gemeinsame Bildung und Erziehung aller Kinder in den jeweiligen Einrichtungen zu schaffen und sicherzustellen. Das Kinderbildungsgesetz NRW (KiBiz) und das seit dem 1. Januar 2020 in Kraft getretene Bundesteilhabegesetz (BTHG) bilden die Grundlage für den finanziellen Rahmen entsprechender Angebote. Heilpädagogische Kindertageseinrichtungen sollen demnach schrittweise in das System der Regel-Kitas übergehen. Im Umkehrschluss muss sichergestellt sein, dass sich Regel-Kitas weiter öffnen und in die Lage versetzt werden, auch Kinder mit besonders hohem Förderbedarf aufnehmen zu können.
Im Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX haben die Vertragsparteien vereinbart, die Leistungserbringung in heilpädagogischen Kindertageseinrichtungen im Rheinland zunächst auf der Basis der bisherigen Regelungen fortzuführen. Gleichzeitig besteht die vertraglich vereinbarte Absicht, in einer Arbeitsgruppe der gemeinsamen Kommission Regelungen zu vereinbaren, die es ermöglichen, heilpädagogische Leistungen für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in KiBiz-Einrichtungen sicherzustellen (evtl. durch eine „gepoolte“ Basisleistung II). Ziel ist, dass der Umstellungsprozess in KiBiz-finanzierten Einrichtungen bis zum Jahresende 2026 abgeschlossen ist und ab dem 1. August 2027 Wirkung entfaltet. In Einzelfällen kann die Umstellung um bis zu zwei Jahre verlängert werden. Im Rahmen der BTHG-Umsetzung sollte besonderes Augenmerk auf die heilpädagogischen Gruppen und Einrichtungen, in denen ausschließlich Kinder mit Behinderung betreut werden, gelegt werden. Denn vor allem in diesem Kontext muss der Verpflichtungserklärung aus der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung getragen werden, wonach Menschen mit Behinderung innerhalb des allgemeinen Bildungssystems zu unterstützen sind und nicht in exklusiven Einrichtungen ausgeschlossen werden. Dieser Bildungsanspruch soll nun auch für Kinder mit besonders hohem Betreuungsbedarf – z. B. Kinder mit schweren, mehrfachen Behinderungen – in Regel-Kindertageseinrichtungen verwirklicht werden. Diese Kinder werden aktuell noch, meist exklusiv, in heilpädagogischen Gruppen und Einrichtungen
betreut, mit kleinen Gruppensettings, besonderen baulichen Gegebenheiten, erhöhten Personalschlüsseln und multiprofessionellen Teams.
In den Verhandlungen zum Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX wurde deutlich, dass alle Vertragspartner darin bestrebt sind, diese besonderen Bedarfe grundsätzlich in allen Regelangeboten bedienen zu können. Dadurch können Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam betreut und gefördert werden, unabhängig von dem jeweiligen Förderbedarf. Hierzu bedarf es aber Rahmenbedingungen, die eine bedarfsdeckende Leistungserbringung möglichst im Lebensumfeld der Kinder sicherstellen. Familienorientierung, Wohnortnähe und Verzahnung der Teilhabeleistungen nach SGB IX mit den Leistungen des SGB VIII sind dabei konstitutive Elemente, die besondere Anforderungen an die Bedarfsfeststellung, Leistungsgewährung und die Leistungserbringung stellen.
Diese Rahmenbedingungen zu entwickeln und die vorhandenen Systeme in die neue Ausrichtung zu überführen, muss sorgfältig vorbereitet und begleitet werden. Es muss gewährleistet werden, dass es nicht zu einer Leistungsunterbrechung bzw. zu einem Qualitätsverlust bei der Betreuung von Kindern mit besonders hohem Förderbedarf kommt.
Den oben beschriebenen Plänen nach dürfte es nicht zu einer Schließung der Kita Melanchthonstraße kommen, vielmehr müsste diese ihre heilpädagogischen Gruppen für die Inklusion öffnen und auch dort Regelkinder aufnehmen. Entsprechend würden jedoch Plätze für Kinder mit mehrfachen Behinderungen wegfallen, die aber an anderer Stelle, in Regel-Kitas, geschaffen werden müssen.
inklHier sehen wir noch dringenden Bedarf: Die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Übergang zur Umsetzung des BTHG – Fachpersonal, barrierefreie Räumlichkeiten usw. – müssen dringend geschaffen werden, bevor es zum „Rückbau“ der heilpädagogischen Gruppen kommt. Vor allem muss der Rahmen für eine Finanzierung der Plätze für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf klar sein, welcher ein Angebotsverlust in Bezug auf Qualität und Quantität der Plätze für genau diese Kinder ausschließt. Auch der tatsächliche Fakt der aktuellen Gesamtsituation in Kitas (Stichwort Fachkräftemangel) darf bei der Umsetzung nicht unberücksichtigt bleiben. Jeder Träger in Wuppertal ist im Rahmen seiner Möglichkeiten bereits auf dem Weg der Inklusion und wird diesen auch unbestritten fortführen. Bis jedoch eine ausreichende Qualifizierung von Fachpersonal besteht, einhergehend mit ausreichend zur Verfügung stehenden Personalstunden, um überhaupt eine Mindestbesetzung dauerhaft gewährleisten zu können, wird leider genau diesen Kindern eine Teilhabe nicht, oder nicht ausreichend ermöglicht.
Wir sprechen uns für eine Lösung aus, bei der die Inklusion gemeinsam mit den Kindern und ihren Eltern sowie mit den Trägern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einrichtungen gestaltet wird, um langfristige und nachhaltige Teilhabe zu ermöglichen.
Mit freundlichen Grüßen
gez.
Klaus Jürgen Reese, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion
Caroline Lünenschloss und Ludger Kineke, Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion
Denise Frings und Paul Yves Ramette, Vorsitzende der Ratsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Alexander Schmidt, Vorsitzender der FDP-Ratsfraktion
Gerd-Peter Zielezinski und Susanne Herhaus, Vorsitzende der Ratsfraktion DIE LINKE
Ralf Wegener, Vorsitzender der Ratsgruppe FREIE WÄHLE