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Arbeitsmarktintegration braucht Verlässlichkeit – Massive Kürzungen im Bundeshaushalt verhindern

8. August 2023

Gemeinsamer Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die GRÜNEN und Die LINKE an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit am 15.08.2023, an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Nachhaltigkeit am 17.08.2023, an den Integrationsausschuss am 31.08.2023, an den Hauptausschuss am 04.09.2023 und an den Rat der Stadt Wuppertal am 05.09.2023    

Der Antrag wurde beschlossen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrter Herr Ramette,

sehr geehrter Herr Kineke,

die Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE beantragen, der Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit, der Hauptausschuss und der Rat der Stadt Wuppertal mögen folgende Resolution beschließen:

  1. Der Rat der Stadt Wuppertal spricht sich gegen eine Kürzung des Eingliederungstitels im SGB II um 500 Millionen Euro aus, wie in der Entwurfsfassung des Bundeshaushaltes angedacht ist.
    Eine solch massive Kürzung des Eingliederungstitels gefährdet eine Vielzahl von jahrelang erfolgreich durchgeführten Maßnahmen, die in Wuppertal dazu geführt haben, Menschen mit zuweilen multiplen Vermittlungshemmnissen wieder in den Arbeitsmarkt zurück führen zu können oder ihnen zumindest gute Wege dorthin bereitet haben.
  2. Der Rat der Stadt Wuppertal unterstützt deswegen vollumfänglich die von den diakonischen Trägern in Wuppertal verfasste Resolution „Wuppertal schlägt Alarm“.
  3. Der Rat der Stadt Wuppertal appelliert an die Wuppertaler Bundestagsabgeordneten, der Kürzung des Eingliederungstitels und der Verlagerung der individuellen Begleitung der U25-Leistungsbezieher*innen vom Jobcenter hin zur Bundesagentur für Arbeit nicht zuzustimmen.
  4. Der Rat der Stadt Wuppertal teilt die Auffassung, dass die Arbeitsmarktintegration von jungen Menschen oberste Priorität hat und die gelebte engmaschige Kooperation der Wuppertaler Maßnahmenträger mit dem Jobcenter Wuppertal durch die geplanten Änderungen konterkariert würde.

 

 

Resolution gegen die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt für das SGB II

(Stand: 11. Juli 2023)

Wuppertal schlägt Alarm! Mit den aktuell geplanten massiven Einsparungen im SGB II droht ein dramatischer Abbau von Qualifizierungs- und Beschäftigungsplätzen für Langzeitarbeitslose und für die Gruppe der jungen Menschen unter 25 Jahren!

Ein breites Wuppertaler Bündnis fordert die NRW Bundestags- und Landtagsabgeordneten sowie die arbeitsmarktpolitischen Partner auf, sich in den Beratungen zum Bundeshaushalt gegen die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt für das SGB II einzusetzen.

Aktuell geplante Kürzungen im Bundeshaushalt für SGB II gefährden den sozialen Arbeitsmarkt, verschärfen Armut und erhöhen Jugendarbeitslosigkeit!

Am 29.06.2023 informierte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Bezug auf die Ressortabstimmung zum Bundeshaushalt 2024, dass der Eingliederungstitel im SGB II zunächst um 500 Mio. Euro gekürzt werden soll. Ab dem Jahr 2025 soll zudem die Zuständigkeit für die Arbeitsförderung von SGB II-Empfänger*innen unter 25 Jahren weg von den Jobcentern hin zu den Agenturen für Arbeit nach dem SGB III übertragen werden, um das SGB II-Budget um weitere 900 Mio. € zu entlasten. In Wuppertal wären von einer solchen Regelung nach derzeitigem Stand über 6.550 junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren betroffen.

Die geplanten Kürzungen des Budgets ignorieren massiv den aktuellen Wandel der finanziellen Rahmenbedingungen: stetig wachsende Personal- und Verwaltungskosten im Zuge der Tariferhöhungen, zunehmende Digitalisierungsbedarfe, Inflation und allgemeine Teuerung. Zusätzlich konterkarieren sie mit der Übertragung der Zuständigkeit des Personenkreises U25 die fachlich angezeigte und jahrelang etablierte, ganzheitliche Betreuung von Bedarfsgemeinschaften und Familien sowie die damit einhergehenden bedarfsgerecht entwickelten Instrumente, insbesondere für schwer zu erreichende und besonders von Armut gefährdete junge Erwachsene.

Ausgangslage – was in Wuppertal geschaffen wurde

Im Wuppertaler Modell wurde seit 2005 ein qualitativ hochwertiges, für unterschiedliche Bedarfe ausdifferenziertes Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebot geschaffen, sodass allen langzeitarbeitslosen Wuppertaler*innen eine bedarfsorientierte Perspektive unterbreitet werden kann. Spezielle Angebote für Erziehende inklusive Kinderbetreuung, für Migrant*innen oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen zeichnen diese Angebote aus. Ebenso gehören psychosoziale Beratungs- und Unterstützungsleistungen sowie hochwertige Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote zum umfassenden Repertoire an Maßnahmen.

Die vom Bund für die Eingliederung zur Verfügung gestellten Finanzmittel (Eingliederungstitel EGT) wurden in der Vergangenheit zu nahezu 100% eingesetzt, d.h. konkret: Die Mittel werden für die betroffenen Menschen eingesetzt und kommen ihnen zugute!

Eben diese Angebotsstruktur stabilisiert nicht nur die individuelle Perspektive und Teilhabe, sondern auch die soziale Infrastruktur in Wuppertal, trägt zum gesellschaftlichen Leben bei und macht die Stadt lebenswert: Neben der Förderung und Qualifizierung von Fachkräften liegen u.a. Ausbau und Pflege der Nordbahntrasse, Renovierung und Umbau des Stadion am Zoo Wuppertal sowie die in der Wuppertaler Kreislaufwirtschaft angesiedelten Recyclingprojekte im öffentlichen Interesse und zeigen nur einen Ausschnitt der Tätigkeitsbereiche.

Das Jobcenter leistet einen wesentlichen Beitrag gegen Jugendarbeitslosigkeit und für die Fachkräftesicherung!

Teil des Wuppertaler Modells ist es, einen ganzheitlichen Blick auf Berufs- und Lebensperspektiven junger Menschen zu haben und diese nicht auf deren Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren.

Die Beratung und Betreuung von Jugendlichen in oft schwierigen Lebenslagen hat sich zu einer Kernkompetenz des Jobcenters entwickelt. 150 Integrationsfachkräfte, über 40 Jobcoaches und das Team der Ausbildungsvermittlung lösen das Versprechen ein, jedem ausbildungs- und arbeitswilligen jungen Menschen ein konkretes Angebot zu machen.

Allein in diesem Jahr investiert das Jobcenter Wuppertal über 11 Mio. Euro in die berufliche und persönliche Förderung junger Menschen. Zusammen mit einer leistungsstarken Trägerlandschaft ist ein differenziertes Angebot mit rund 1.800 Maßnahmeplätzen entstanden, das von Berufsorientierung, persönlicher Stabilisierung, Sprachförderung bis hin zu ausbildungsbegleitenden Hilfen und Ausbildungsplätzen reicht. Alle U25-Maßnahmen von Jobcenter und Trägern sind eng abgestimmt mit den wichtigen Akteuren vor Ort, wie den Schulen, der Berufsberatung der Arbeitsagentur, der Stadt Wuppertal oder den Kammern.

Durch die Zusammenarbeit im Netzwerk, durch die Verankerung in den Quartieren, vor allem aber im engen Kontakt mit den jungen Menschen ist vor Ort ein reicher Schatz an Strukturen, Wissen und Vertrauen aufgebaut worden, der nun massiv bedroht wird. Damit wäre auch eine langjährige Erfolgsgeschichte zu Ende: seit 2012 wurden in Wuppertal über 6.300 Menschen unter 25 in Ausbildung und rund 10.000 in sozialversicherungspflichtige Arbeit vermittelt.

Die Idee der Bürgergeldreform wird konterkariert

Die Bürgergeldreform hat viele Dinge gesetzlich verankert, die in Wuppertal oftmals schon gelebte Praxis gewesen sind. Die Beratung auf Augenhöhe, der Blick auf die gesamte Familie oder die aufsuchende Arbeit in den Quartieren sollten dadurch, so zumindest die Idee der Reform, auf eine verlässliche Basis gestellt werden.

Mit der möglichen Übertragung des U25-Bereichs auf die Arbeitsagenturen würde der ganzheitliche Ansatz der Bürgergeldreform konterkariert. Es steht zu befürchten, dass gerade schwächere junge Menschen und junge Neuzugewanderte mit erhöhtem Unterstützungsbedarf die Leidtragenden einer solchen Entscheidung sind.

Weniger Geld für mehr Aufgaben bei extrem ansteigenden Kosten: Ein massiver Abbau der Angebotsstruktur wäre unausweichlich!

Der Bedarf an Förderung ist ungebrochen hoch: In Wuppertal ist die Zahl der Menschen im Langzeitleistungsbezug mit 21.800 Personen und im verfestigten Langzeitleistungsbezug (mindestens 4 Jahre) mit über 16.000 Personen enorm. Die Arbeitslosenquote beträgt 9,6% (Stand Juni 2023) und die Unterbeschäftigtenquote 14,5%. Damit belegt Wuppertal im bundesweiten Vergleich einen Spitzenplatz. Der Eingliederungstitel wurde dennoch in demselben Zeitraum von 48,8 Mio. Euro um 3,3 Mio. Euro auf 45,5 Mio. Euro gesenkt.

Die Tarifsteigerungen erhöhen die Personalkosten sowohl des Jobcenters Wuppertal AöR (in 2023 beläuft sich der Betrag auf etwa 3,5 Mio. Euro) als auch der Träger dramatisch. Konsistente politische Entscheidungen müssen tarifliche Personalkostensteigerungen sowie inflationsbedingte Kostensteigerungen zeitnah refinanzieren. Das Budget des Kostenträgers muss so ausgestattet sein, dass dies möglich ist und eine Zukunftsperspektive geschaffen wird.

Zum 01.06.2022 wurden die ukrainischen Geflüchteten in der Betreuung den Jobcentern übertragen. Für Wuppertal sind dies ca. 2.600 Bedarfsgemeinschaften mit fast 5.000 Menschen. Damit sind in Wuppertal überdurchschnittlich viele Menschen dieser Personengruppe untergebracht, die über diverse Beratungs- und Unterstützungsbedarfe verfügen. Zur adäquaten Betreuung und Integration wurden jedoch keine weiteren Ressourcen zur Verfügung gestellt.

Um auch in Zukunft professionelle und zuverlässige Arbeit für und mit Menschen anbieten zu können, ist eine auskömmliche Finanzierung und bedarfsgerechte Ausstattung mit qualifiziertem Fachpersonal notwendig. Die Berücksichtigung der Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst, der Wohlfahrtspflege und freier Träger ist zwingend erforderlich. 4

Die Überlegungen zu entsprechenden Kürzungen im Bundesaushalt für das SGB II sind demnach mit aller Deutlichkeit abzulehnen. Wir fordern Sie auf, sich in den Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 für eine Erhöhung der Haushaltstitel ‚Leistungen zur Eingliederung in Arbeit‘ und ‚Verwaltungskosten zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende‘ einzusetzen und den Planungen, die Zuständigkeit für die Arbeitsförderung von SGB II-Empfänger*innen unter 25 Jahren, entschieden entgegen zu treten!

 

 

Mit freundlichen Grüßen

SPD CDU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE LINKE
Klaus Jürgen Reese, Fraktionsvorsitzender Caroline Lünenschloss,

Ludger Kineke,

Fraktionsvorsitzende

Paul Yves Ramette Fraktionsvorsitzender,

Marcel Gabriel-Simon Stadtverordneter

Susanne Herhaus,

Gerd-Peter Zielezinski, Fraktionsvorsitzende